
Rückblick auf fünf Jahre Radverkehrspolitik
Die Kommunalwahl 2025 ist gelaufen, das Ergebnis zeigt: Der Radverkehr wird es auch in Zukunft schwer haben, wenn nicht kontinuierlich Druck gemacht wird...
Die Kommunalwahl 2025 ist gelaufen. Entweder übernimmt eine Große Koalition aus CDU und SPD das Ruder oder es gibt wechselnde Mehrheiten im Stadtrat. Beides bedeutet: Der Radverkehr wird es auch in Zukunft schwer haben, wenn nicht kontinuierlich Druck aus der Zivilgesellschaft kommt.
Dabei war der politische Anspruch in den letzten fünf Jahren durchaus da: CDU und Grüne hatten sich im Stadtrat auf ein gemeinsames Arbeitsprogramm geeinigt, das an vielen Stellen auch den Umweltverbund stärken sollte. Die Grünen sorgten dafür, dass Themen wie der RS 1, Tempo 30 km/h wo nur möglich oder die Beteiligung des ADFC bei Planungsprozessen überhaupt auf die Tagesordnung kamen. Und doch bleibt am Ende der Legislatur das Gefühl: Vieles wurde diskutiert, aber wenig wurde gebaut.
Fahrradklimatest 2024: Die Quittung kam im Wahlkampf
Kein Wunder also, dass die Bürgerinnen und Bürger keinen Fortschritt wahrnehmen: Passend mitten im Kommunalwahlkampf wurden die neuen Zahlen des ADFC-Fahrradklimatest 2024 veröffentlicht. Und die Mülheimer Politik bekam erneut die Quittung für jahrelanges Zögern. Note 4,2 – zum dritten Mal in Folge. Platz 34 von 42 in der eigenen Ortsgrößenklasse. Bei allen Bewertungen Stagnation oder sogar Abstieg. Von Fortschritt keine Spur.
Und die Teilnehmenden haben ihre Meinung sehr klar formuliert: „Die Fahrradwege und auch Straßen sind lebensgefährlich. Man muss immer konzentriert zum Boden schauen, um den Schlaglöchern auszuweichen.“ „Die Stadt Mülheim tut absolut gar nichts gegen Falschparker auf Gehwegen und Radwegen. Radfahrer sind vergessene Verkehrsteilnehmer und abgesehen vom RS 1 in MH ist das Radwegenetz ein Flickenteppich.“
Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache:
- Falschparkerkontrolle: Note 5,0 - Tiefpunkt der Umfrage – hier sehen die Bürger:innen keine Fortschritte.
- Breite der Radwege: Note 4,8 - Radfahrende fühlen sich eingeengt und an Kreuzungen gefährdet.
- Winterdienst: Note 4,7 - Radfahren in der kalten Jahreszeit bleibt ein Glücksspiel und das, obwohl auf Hauptrouten und RS 1 einiges besser wurde.
- Führung an Baustellen: Note 4,7 - Fehlende oder unlogische Umleitungen gefährden den Radverkehr zusätzlich.
- Wegweisung: Note 4,4 - Viele Wege führen nach Mülheim, aber nicht sicher oder nachvollziehbar
Über 60 % der 557 Umfrage-Teilnehmenden sind keine ADFC-Mitglieder, sondern Menschen zwischen 30 und 60 Jahren, die im Berufs- und Familien-Alltag mit der Realität des Mülheimer Autowahnsinns konfrontiert sind oder schlicht keine Lust mehr auf den täglichen Ärger haben: „Meine Kinder fahren hier bei uns überhaupt kein Fahrrad, weil sie Angst haben, sich im fließenden Autoverkehr zu bewegen.“ oder „Radfahrer werden von der Politik gefühlt immer noch als 'Genussradler' und nicht als z.B. Berufspendler wahrgenommen.“ sind Zitate aus der Umfrage.
Der einzige kleine Hoffnungsschimmer: Die Wahrnehmung, dass es überhaupt Fahrradförderung gab, hat sich leicht verbessert (Note 3,9 statt 4,1 im letzten Test). Das dürfte auch an Initiativen wie dem Mapathon, ersten Mobilstationen oder Pilotplanungen liegen. Aber die Menschen warten auf Taten, nicht auf Präsentationen.
Es gab Lichtblicke in den letzten Jahren – aber sie reichen nicht
Wir als ADFC erkennen aber auch an: Einige Projekte wurden durch die nun abgewählte Koalition angestoßen. Die Grünpfeile für Radfahrende in Mülheim sind im Ruhrgebiet vorbildlich, Planungen für Achsen wie die Kaiserstraße, die Styrumer Tangente oder Prinzeß-Luise-Straße wurden auch mit ADFC-Beteiligung vorangebracht. Auch unsere Idee eines Rad-Innenstadtrings wurde durch die Stadtspitze aufgenommen – immerhin. Aber: Die Umsetzung stockt oder ist haushaltsbedingt auf unbestimmte Zeit verschoben.
Der RS 1? Ein Symbol für verlorene Jahre. Keine neuen Abschnitte, keine Beschleunigung, kein politischer Druck aus Mülheim Richtung Düsseldorf. Ein Aufzug, der inzwischen gefühlt verschrottet ist, viele Ideen für eine Rampe in die Innenstadt verschwinden in den Schubladen.
Trotzdem lohnt der kritische Blick zurück auf die Schwarz-Grüne Koalition und die Arbeit der Stadtverwaltung: Was wurde umgesetzt, was liegt in der Schublade, und wo klemmt’s weiterhin?
Erste Weichen sind gestellt – Planungen laufen, Impulse kamen an
Trotz schwieriger Haushaltslage und langer Umsetzungszeiten in der kommunalen Planung gab es einige konkrete Fortschritte:
- Grünpfeile für Radfahrende: Mülheim gehört zu den führenden Kommunen im Ruhrgebiet, was die Einrichtung von Grünpfeilen für rechtsabbiegende Radfahrende angeht – ein echtes Vorzeigeprojekt in Sachen Mikroinfrastruktur.
- Radachse Kaiserstraße zum Flughafen: Eine zentrale Achse im Stadtgebiet ist geplant und fast umgesetzt – ein wichtiger Schritt für die Vernetzung des Südens der Stadt.
- Innenstadtring für Radfahrende: Die Stadt unterstützt immerhin prinzipiell die Öffnung des Tunnels Eppinghofer Straße sowie der Straßen “Am Löwenhof” und “Bahnstraße” – zentrale Bausteine für ein fahrradfreundliches Innenstadt-Ringsystem. Die Umsetzung hängt aktuell noch an den Bauarbeiten an Dickswall und Kaiserstraße - sowie am Geld.
- Zwei Mobilstationen eingerichtet: Die Idee der multimodalen Mobilität (Fahrrad + ÖPNV + Leihangebote) nimmt mit ersten Stationen an der Von-Bock-Straße und in Saarn konkrete Formen an. (WAZ Link https://www.waz.de/lokales/muelheim/article409860247/zweite-mobilstation-eroeffnet-das-bietet-das-neue-angebot.html )
- Planungen für neue Achsen mit Beteiligung des ADFC: Sowohl z.B. für die Saarner Straße, die Prinzeß-Luise-Straße und die neue Verbindung zwischen Styrum und Dümpten über die Industriestraße liegen Planungen unter Einbindung des ADFC vor. Realisiert werden können sie allerdings nur, wenn die Finanzierung steht.
Teilerfolge: Viel konzipiert, aber zu wenig sichtbar
- Der Mapathon des ADFC als bürgerschaftliches Beteiligungsprojekt hat das Zielnetz Radverkehr neu definiert, die Stadt fand das toll – doch der Netzausbau kommt nur schleppend voran, eine wirklich stringente Planung ist auf der Basis nicht erfolgt.
- Die Stellplatzsatzung wurde angepasst – ein Erfolg für den Radverkehr, der jedoch noch nicht im Stadtbild sichtbar ist.
- Die Stadt beteiligt sich punktuell an Radverkehrsprojekten (auch dem Stadtradeln), doch systematische Programme oder sichtbare Flächenumverteilungen fehlen bisher.
Was weiterhin fehlt: Verbindlichkeit, Tempo, Personal
- Der RS1 stockt auf Mülheimer Gebiet – und obwohl es kein städtisches Projekt ist, könnte die Stadt politisch mehr Druck auf Straßen.NRW ausüben.
- Die Anbindung des RS 1 an die Innenstadt bleibt nicht nur wegen des Dauerproblems Aufzug unbefriedigend: Wie groß wäre das Potenzial für den Einzelhandel und die Gastro, wenn dies endlich attraktiv wäre?
- Die Beschilderung, Sicherheit und intuitive Wegführung für Alltagsradverkehr bleibt unzureichend – ohne klare Standards und wirkliche Hauptrouten bleibt Radfahren oft eine Irrfahrt für Ortsfremde.
- Parkverstöße auf Radwegen, fehlende Kontrollen und (teilweise) mangelhafter Winterdienst auf Radrouten bleiben ungelöst – Verwaltung und Ordnungsamt fehlen Kapazitäten und politische Rückendeckung.
Was die neue Ratsmehrheit jetzt liefern muss
Die neue Stadtregierung – egal ob CDU/SPD oder wechselnde Mehrheiten – muss sich an ihren Wahlversprechen messen lassen. In ihren Programmen haben beide Parteien den Radverkehr erwähnt, teils mit konkreten Zusagen. Aber die Spitzenkandidat:innen haben sich selbst keinesfalls als Radfahrende profiliert. Deswegen erinnern wir nochmal an die Programme und die letzten Jahre:
- Die SPD versprach mehr Radabstellanlagen, eine fahrradfreundliche Verwaltung und mehr Personal. Viele konkrete Verbesserungsvorschläge in den Stadtteilen sind protokolliert, die Duisburger Straße wurde mehrfach in Diskussionsrunden erörtert.
- Die CDU bekannte sich im Programm zur Förderung von Infrastruktur „wo möglich“. Aber man hat ja sicherlich auch einiges gelernt im Diskurs mit dem Koalitionspartner der letzten Jahre und kann nun mit Fachwissen bessere Konzepte anschieben und die beschlossenen Konzepte umsetzen…
Jetzt wird sich zeigen, ob das ernst gemeint war – oder nur Floskeln fürs Wahlprogramm.
Wir werden die nächsten fünf Jahre nicht abwarten, sondern begleiten, kommentieren und öffentlich machen, wo Radverkehr weiterhin stiefmütterlich behandelt wird. Gleichzeitig bieten wir allen demokratischen Fraktionen und der Verwaltung erneut an: Unsere Expertise liegt auf dem Tisch, wir unterstützen gerne.
Denn eins steht fest: Die Verkehrswende passiert nicht auf dem Papier, sondern auf der Straße.
Peter Beckhaus